Vorwort zum Dammapada

Unter den fünf großen Sammlungen oder Nikāyas, die in ihrer Gesamtheit das Suttapitaka, den „Korb der Lehrsätze“, bilden, steht der Khuddaka-Nikāya, die „Sammlung der kurzen Texte“, an letzter Stelle; in ihm aber befinden sich gerade die ältesten Stücke der buddhistischen Überlieferung, und zu diesen gehören DHAMMAPADA, UDĀNA, SUTTA-NIPĀTA und THERAGĀTHĀ.

Das DHAMMAPADA, eine der volkstümlichsten unter allen kanonischen Schriften der Buddhisten, ist eine lose Sammlung von Sprüchen in Versen, mit denen Buddha und seine Jünger, besonders wenn sie zu Laien sprachen, ihre Lehrreden ausschmückten. Einige Verse sind deutlich als Worte Buddhas zu erkennen, manche andere können nicht von ihm, sondern nur von seinen Jüngern gesprochen sein; mehrere stehen auch in den THERA-GĀTHĀ und an anderen Stellen des Kanons, und dort sind die Verfasser genannt. Bei den meisten ist es zweifelhaft, aber auch gleichgültig, wer der Verfasser ist.

Die Form der Sprüche ist meist der Doppelvers, der aus je 16 Silben besteht (Sloka), ausnahmsweise sind es drei oder vier Verszeilen oder vier elfsilbige Verse. Sie sind, wie die Verse 44 und 45 bezeugen, lose zusammengebündelt, wie man Blumen zu einem Strauß bindet, geordnet nach Stichworten oder anderen äußeren Merkmalen, weniger nach dem Inhalt. Wie in einem großen Blumenstrauß schönere und weniger schöne Blumen nebeneinander blühen, so stehen auch im Dhammapada neben formschönen Versen mit großen, tiefen Gedanken manche ziemlich einfältige und sogar triviale. Die Übersetzung kann daran nichts ändern, sie ist auch nicht verantwortlich für einige schiefe Bilder, wie überhaupt zu beachten ist, daß in diesem Buch nicht freie Dichtung, sondern nur Übersetzung geboten wird, deren Inhalt und Ausdruck durch den Urtext bestimmt ist.

Das Dhammapada ist der erste Pali-Text, der in Europa veröffentlicht wurde: im Jahre 1855 gab ihn Fausböll, der verdienstvolle Bahnbrecher des Pali-Studiums, in Kopenhagen mit lateinischer Übersetzung heraus.

In den bisherigen deutschen Übersetzungen des Dhammapada finden sich viele Mißverständnisse. Sie beginnen schon mit dem Titel: Dhammapada bedeutet nicht „Pfad der Wahrheit“ oder „Pfad der Lehre“, sondern einfach: „Sprüche zur Buddhalehre in Versen“. Mißverständlich ist es, wenn man „attā“ in den Sprüchen mit „das Selbst“ übersetzt; es ist hier meist nichts anderes als das Reflexivpronomen „sich“ oder „er selbst“, im Genitiv „sein eigener“. „Citta“ ist nicht das Herz oder der Geist, sondern das Denken; „piya“ hat nichts mit „Liebe“ zu tun, sondern bedeutet: „angenehm“, „das, was man gern hat oder gern haben möchte“ usw. Wenn man dies beachtet, verschwinden alle Schwierigkeiten für das Verständnis, und der Sinn der Sprüche leuchtet sofort ein.

Die Pali-Verse von 16 und mehr Silben können im Deutschen nicht gut durch Verse von derselben Silbenzahl wiedergegeben werden, weil für unser Sprachgefühl solche Verse zu lang wären, es sei denn, daß man Hexameter und Pentameter wählte. Die bisherigen Übersetzer haben die Doppelverse durch vierzeilige Strophen wiedergegeben. Dabei mußten sie oft zum Ausfüllen der Verse Worte einfügen, die im Urtext nicht stehen. Mir scheint, daß dadurch der Charakter der Verse, die im Pali kurz und einprägsam sind, verändert wird. Für solche Spruchpoesie haben wir im Deutschen gute Vorbilder im „Cherubinischen Wandersmann“ des Angelus Silesius und in der „Weisheit des Brahmanen“ von Friedrich Rückert; beide verwenden den aus 6 Jamben bestehenden Alexandriner, der paarweise gereimt ist. Diese Versform dürfte dem Dhammapada am besten entsprechen; darum habe ich sie für die Übersetzung gewählt, und zwar (mit einer Ausnahme) durchgängig, ohne Rücksicht auf die verschiedenen Versmaße im Urtext.

 

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